Von den Kulturwissenschaften (im Plural), welche die Methode einzelner Geisteswissenschaften für die Untersuchung von Kultur behandelt kann nach Hartmut Böhme die neuere Disziplin der Kulturwissenschaft als Disziplin unterschieden werden, welche zwar für die Untersuchung von Kultur auch auf die Ergebnisse der Einzelwissenschaften angewiesen ist, aber trotz allem versucht durch Kulturreflexion und Kulturkritik übergreifende Zusammenhänge in den Blick zu bringen: "Dies unterscheidet die Kulturwissenschaft, jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Phase, von den etablierten Geisteswissenschaften, die aufgrund ihrer hohen Spezialisierung den Kontakt zu jener Tradition weitgehend verloren haben, die R. Koselleck (1973) als den für die Moderne charakteristischen Zusammenhang von „Kritik und Krise“ beschrieben hat."[1]
Im Vergleich zu den Kulturwissenschaften kann die Kulturwissenschaft durch folgende Punkte unterschieden werden[2]:
Einerseits nimmt sie die Verdrängung der Geisteswissenschaften durch den Nationalsozialismus zurück, andererseits schließt sie nicht unmittelbar an die deutsche Tradition der Geisteswissenschaften an, sondern nimmt auch Ideen aus den Cultural Studies und Humanities mit auf.
Gegenstand ihrer Untersuchung ist nicht mehr nur die "hohe" Kultur, sondern sie bezieht alle Bereiche kulturellen Lebens mit ein.
Aufmerksamkeit widmet sie daher allen Medien (also nicht mehr nur dem Buch), da Kultur nur in Medien geschieht.
Damit spielt nicht mehr nur die schriftliche Überlieferung eine zentrale Rolle, sondern alle kulturellen bildlichen Formen, d.h. perfomative Akte, Körperfiguren, Rituale und Habitus.
Als kulturelles Gedächtnis zählt somit nicht mehr nur das Geschriebene, sondern alle Verkörperungen und Einbettungen von Kultur, die sich für ihren Erhalt ständig neu aktualisieren und einschreiben müssen.
Die Kulturwissenschaft untersucht die Wanderungsbewegung der kulturellen Formen und Symbole über historische und ethnische Grenzen hinweg, wodurch zugleich ein Eurozentrismus vermieden wird.
Im Anschluß an die Kultursemiotik versteht sie Kultur als Symboluniversum und textualen Zusammenhang: Die Bedeutung einzelner kultureller Momente ergibt sich immer nur im Zusammenhang mit anderen Stellen dieses Textes, Kultur ist ein Text, in dem die Kulturwissenschaft liest, aus dem sie das kulturell Bedeutsame herausliest.
Internationaler Vergleich
Während sich insbesondere die anglo-amerikanischen Cultural Studies als dezidiert politische Wissenschaft verstehen, untersuchen die meisten Vertreter der deutschen Kulturwissenschaft auch andere (politikfreie) Wissensgebiete. Dies liegt in der Geschichte der deutschen Kulturwissenschaft begründet.[3]
Die russische Kulturologie basiert hauptsächlich auf der Semiotik, wobei hier hauptsächlich die Tartuer (Juri Lotman) und Moskauer Schulen (Boris Uspenski) zu erwähnen sind. Aber auch Michail Bachtin als einer ihrer Vorläufer gehört zu ihrem Erbe.
Hartmut Böhme, Klaus R. Scherpe: Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-55575-1
Hartmut Böhme, Peter Matussek, Lothar Müller: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. 2. Auflage. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002, ISBN 3-499-55608-1
Elize Bisanz (Hg.): "Kulturwissenschaft und Zeichentheorien.Zur Synthese von Theoria, Praxis und Poiesis." Reihe: Methoden der Kulturwissenschaft, LIT-Verlag, 2004, ISBN 3-8258-8085-0
Elize Bisanz (Hg.): "Diskursive Kulturwissenschaft. Analytische Zugänge zu symbolischen Formationen der pOst-Westlichen Identität in Deutschland.". Reihe: Methoden der Kulturwissenschaft, LIT-Verlag, 2005, ISBN 3-8258-8762-6
Manfred Engel: "Kulturwissenschaft/en – Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft – kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft". In: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 1 (2001), S. 8-36
Ludger Heidbrink, Harald Welzer (Hrsgg.): Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften, Verlag C. H. Beck, München 2007, ISBN 3-406-55954-9
Fachzeitschriften
Ralf Konersmann, John Michael Krois, Dirk Westerkamp (Hrsg.): Zeitschrift für Kulturphilosophie. Meiner, Hamburg 2007ff, ISSN 0939-5512
Michael C. Frank, Bettina Gockel, Thomas Hauschild, Dorothee Kimmich, Kirsten Mahlke (Hrsg.): Zeitschrift für Kulturwissenschaften. transcript, Bielefeld 2007ff, ISSN 9783-9331
Bernard Dieterle, Manfred Engel, Dieter Lamping und Monika Ritzer: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000ff, ISSN 1616-1203
Aktuelle Handbücher
Bachmann-Medick, Doris (2007): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften (= rowohlts enzyklopädie 55675). 2. Auflage Reinbek bei Hamburg.
Aleida Assmann (2006): Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen (= Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik Bd. 27). Berlin.
Jäger, Friedrich und Jörn Rüsen (Hrsg.) (2004): Handbuch der Kulturwissenschaften, drei Bände. Stuttgart.
List, Elisabeth und Erwin Fiala (Hrsg.) (2004): Grundlagen der Kulturwissenschaften. Interdisziplinäre Kulturstudien. Tübingen.
Reckwitz, Andreas (2000): Die Transformation der Kulturtheorien. Weilerswist.
Wissenschaftsgeschichte und kulturwissenschaftliche Archäologie
Assimilation - Abgrenzung - Austausch. Interkulturalität in Sprache und Literatur. Hrsg. v. Jürgen Joachimsthaler und Maria K. Lasatowicz. Frankfurt/M.: Lang 2000, ISBN 3-631-34894-0
Regionalität als Kategorie der Sprach- und Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Instytut Filologii Germanskiej der Uniwersytet Opolski. Frankfurt/M.: Lang 2002, ISBN 3-631-39167-6